Gut gereift 

Hin und wieder sieht man morgens gegen Neun Uhr in der Raiffeisenstraße vor dem Haus Nummer 5 auf einem in die Jahre gekommenen Stuhl einen schmalen Mann sitzen, mit der Kaffeetasse in der Hand, einem Lächeln im Gesicht und einem freundlichen Wort für jeden, der es hören mag.

Es handelt sich um Rudi Paeseler, der dort auf eher südländische Art vor der Tür seines Geschäftes, der „Gemüseecke“, pausiert und die Sonne geniesst. Die Pause ist wohl verdient, sechs Stunden zuvor begann die Arbeit, von der seine Kunden nichts mitbekommen. Vier bis fünf Mal in der Woche parkt Herr Paeseler morgens gegen Drei, halb Vier Uhr seinen gelben Kleintransporter „auf der Helene“, dem Parkplatz vor der Großmarkthalle Köln, der seinen Namen zu jener Zeit erhielt, als es noch Parkwächter dort gab. Seine Wege führen ihn zu seinen Stammanbietern von frischem Obst, Gemüse und Kräutern.

Siebzehn Jahre schon taucht er ein in diese bienenstockartige Geschäftigkeit, er ist ein Teil davon und hat sich seinen Ruf als guten und anspruchsvollen Kunden über die Jahre hart erarbeitet. Sein Kapital in den Hallen sind seine Sinne, er riecht, schaut und fühlt prüfend die in den Kisten gelagerten Waren und gibt sich nicht zu schnell mit dem zufrieden, was er geboten bekommt. Der Rest ist wie ein Spiel: braucht er z. B. heute gute Pfifferlinge und ist nicht zufrieden mit dem Inhalt der ausliegenden Kisten muss er Hartnäckigkeit an den Tag legen. Er weiss genau, dass der Verkäufer im Lager noch ein, zwei Kisten mit besseren Pfifferlingen zurückhält. Mit jeder Faser seines Körpers zeigt er ohne Worte, dass er nicht zufrieden ist. Der Verkäufer beobachtet ihn, versucht sein Glück, ob der Rudi nicht heute doch die vor ihm liegende Ware kauft, indem er ihn einfach zu ignorieren scheint. Dieser jedoch wandert zum nächsten Stand, kommt noch fünf Mal zurück, bis der Verkäufer einknickt, mit einem Nicken seinen Gehilfen ins Lager schickt und Herrn Paeseler die besseren Pilze überreicht. Bezahlt wird bar, das war schon immer so, doch Zeit für ein Schwätzchen hat heute kaum noch einer. Früher waren die Großmarkthallen nicht nur ein Umschlagplatz für Obst und Gemüse, es gab im Keller die Kühlhäuser für Fisch und Fleisch und auf einer Empore Cafés, in denen in der Früh die Jugend ihre überlangen Nächte ausklingen ließen. All das ist nun verwaist und so fährt Herr Paeseler umgehend, nachdem er sein Auto vollgeladen hat, zurück nach Neunkirchen. Hier gilt es nun die Kisten auf die Gestelle zu tragen, diese draußen vor dem Geschäft zu platzieren und den Laden vorzubereiten.

Rudi Paeseler ist Jahrgang 1957, also noch gar nicht so alt und doch aus einer Generation, in der man schon mit 13 in die Lehre kommen kann. In seinem Fall ist das eine Ausbildung „in einem der modernsten Betriebe damals, bei Bornheim“. Fünf Jahre arbeitet er dort, mit 18 verlässt er die Heimatstadt Siegburg und geht dann auch einmal für zweieinhalb Jahre nach Oberstdorf, „Kost und Logis mit Blick auf die Schanze“.

Der triste Winter ’80/’81 treibt ihn zurück ins Rheinland, und bald findet er sich „als einfacher Arbeiter“ in der Gartenabteilung eines der damals aufkommenden großen Baumärkte wieder, in Bonn. Wieder kommt er herum, diesmal in mehreren Filialen im ganzen Rheinland; er lernt seine spätere Frau kennen, sie ist in der Lehre zur Einzelhandelskauffrau – was viel später, beim großen Abenteuer Gemüseecken-Gründung, ganz zupass kommen soll.

Irgendwann landet er in Neunkirchen, genauer: in Niederhorbach, wo die beiden sich ein Fachwerkhaus herrichten. Und in Neunkirchen soll das Paar dann auch das große Wagnis beginnen, als der ehemalige Blumenladen an der Hauptstraße zu vermieten ist. Warum nicht Obst und Gemüse verkaufen, immerhin ist man einmal Gärtner gewesen und versteht doch etwas davon. Die beiden hören auf im Baumarkt und machen sich selbstständig.

Der Anfang ist schwer, Paeseler ist ja unerfahren im Handel. „Die ersten anderthalb Jahre habe ich kräftig Lehrgeld gezahlt, dann wusste ich langsam, wie es läuft, habe neu verhandelt, und dann ging es.“ Später kam auch der Umzug an die jetzige Adresse, auf die der Name Gemüseecke ob der Lage noch besser passt. Das Sortiment wird um Käse, Essig und Öl erweitert, um den Einkauf dieser Waren kümmert sich seine Frau. Zuvor war in diesen Räumen eine Autowerkstatt, deren Architekt unmöglich geahnt haben kann, dass sich in den Räumen statt um Reifen, Öl und Einspritzpumpen alles nur um Paprika und Petersilie drehen würde. Offenbar hat er dennoch alles auch dafür richtig gemacht. Paeseler hat das passende Raumklima für sein Gewerbe und kommt selbst im Hochsommer ohne Kühlung hin. „Im Discounter kann man schön grünen Salat kaufen, der dann allerdings durch Kühlung auch schon mal zwei Wochen alt sein kann!“

Lange ging es auf und ab, mit der Konkurrenz der Supermärkte hat es der Spezialist wie alle anderen zu tun, doch nach sieben, acht Jahren war er etabliert. Der Qualitätsanspruch hat es am Ende ausgemacht. Der zwingt ihn auch nach wie vor, um 2 Uhr aufzustehen, damit er es rechtzeitig in den Kölner Großmarkt schafft und um sieben den Laden aufmachen kann.  In Köln findet er dann auch Ware, die vielleicht nur aus dem Vorgebirge oder von der Goldenen Meile aus den Umweg über die Domstadt nehmen musste, nicht aber aus Chile oder Ägypten. Solche Transportwege kann auch der ökologisch mitdenkende Apfelesser verdauen.

„Probieren Sie den hier, dafür hat mir der Apfelbauer extra eine Reihe Bäume stehen lassen, den kriegen Sie sonst kaum noch.“ Über die saftige rote Bilderbuchfrucht wäre mit „sehr, sehr lecker“ eigentlich alles gesagt. Aber dass es ihn hier in der Raiffeisenstraße zu kaufen gibt, ist schon etwas Besonderes. Die Kunden, die an ihm vorbei in sein Geschäft gehen wissen, dass sie dort Vielfalt und Frische finden und so kennen und schätzen die Neunkirchener Herrn Paeseler und seine Gemüseecke jetzt schon seit 18 Jahren.

Gemüseecke, Raiffeisenstr. 5, 53819 Neunkirchen, Tel 02247 759245

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